FOOL FOR YOU

ZUM STÜCK

 

// Uraufführung: 28. Mai 2005

// In Kooperation mit dem Theater im Ballsaal, Bonn und dem Kulturbüro Krefeld

// Gefördert durch: Kunststiftung NRW / Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes NRW / Bundesstadt Bonn // dem Fonds Darstellende Künste e.V. / Le Conseil de la Culture Etat du Valais

 

Jeder kennt einen. Jedes Dorf hatte früher einen. Und auch heute wählt sich jeder seinen Idioten, hier und überall. Der Idiot ist unsere Wirklichkeit, unsere condition humaine. Der Idiot zieht Menschen durch seine Verrücktheit an, denn es ist der Exzentriker und Außenseiter, der einen ganz eigenen Blick auf die Welt besitzt und sich über die Regeln und Normen hinwegsetzt. Kann man sich da ein Leben ohne Idioten vorstellen? Entweder er bleibt, oder wir wechseln ihn gegen einen anderen aus. Gegen uns selbst? Die Identitäten verschwimmen. Wer ist der Idiot? Wer nicht? Wer ein Opfer? Wer der Täter? Wann? Es könnte heute sein. Wo? Überall. Wer? Sie und er, das könntest du sein.


"(...) Auf die paranoide Phantasie spricht etwas in der Realität an, die von jener verbogen wird. Der latente Sadismus aller errät untrüglich die latente Schwäche aller. Und die Verfolgungsphantasie steckt an: wann immer sie begegnet, sind Zuschauer unwiderstehlich dazu getrieben, sie nachzuahmen. Das gelingt am leichtesten, wenn man ihr zum Recht verhilft, indem man das vom anderen Gefürchtete tut. "Ein Narr macht viele" – die abgründige Einsamkeit des Wahns hat eine Tendenz zur Kollektivierung, die das Wahnbild ins Leben zitiert. Dieser pathische Mechanismus harmoniert mit dem heute bestimmenden sozialen, dass die zur verzweifelten Isolierung Vergesellschafteten nach Miteinander sein hungern und zu kalten Haufen sich zusammenrotten. So wird Narrheit epidemisch: die irren Sekten wachsen nach dem gleichen Rhythmus wie die großen Organisationen. Es ist der der totalen Zerstörung. Die Erfüllung der Verfolgungsphantasien rührt her von ihrer Affinität zum blutigen Wesen. Gewalt, auf der Zivilisation basiert, meint Verfolgung aller durch alle, und der Verfolgungswahnsinnige bringt sich in Nachteil bloß, indem er dem Nächsten zuschiebt, was vom Ganzen angerichtet wird, im hilflosen Versuch, die Inkommensurabilität kommensurabel zu machen. Er verbrennt, weil er unmittelbar, gleichsam mit bloßen Händen, den objektiven Wahn greifen möchte, dem er gleicht, während das Absurde selber gerade in der vollendeten Mittelbarkeit besteht."

T. W. Adorno: Heideknabe, Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Ffm., 1970

Von und mit: Jorgos Fokianos, Maria Nitsche, Marcelo Omine, Bärbel Stenzenberger Choreographie in Zusammenarbeit mit den Tänzern: Rafaële Giovanola /// Lichtgestaltung und Raumkonzept: Marc Brodeur /// Kostüme: Sabine Schnetz /// Musik- und Tonarrangement*: Stephan Mauel /// Choreographische Beratung: Antoinette Laurent ///Coaching: William Nadylam /// Bühnenbau: Wolfgang Waleschkowski /// Fotografie: Klaus Fröhlich /// Gestaltung: Rolf Bartsch /// Videodokumentation: Sirpa Arvola, Torsten Schulz /// Konzept und Dramaturgie: Rainald Endraß

 

*Musik von René Aubry ("Ne m'oublie pas"), Camille Saint-Saëns ("Der sterbende Schwan"), Residents ("Icky Flix"), Bagdasarian ("The Alvin Show Theme"), Prince ("Nothing compares to you") interpretiert von Jimmy Scott, Johann Sebastian Bach, "Goldberg-Variationen" interpretiert von Glenn Gould (Einspielungen von 1955 und 1981).

PRESSESTIMMEN

 

"Nachdem das Bonner Tanz-Ensemble "CocoonDance" sich in seinem erfolgreichen Stück COVER ME mit der Hysterie als weiblich verschobenem Blick auf die Welt auseinandergesetzt hat, schaut es in seiner neuen Produktion "Fool for You" im Theater im Ballsaal auf die Exzentriker, ohne die es kein Zentrum gäbe. Dieser Blick ist faszinierend genau, weil alle vier Darsteller fragile, aber energetisch auf Hochtouren vibrierende Kraftzentren bilden in dem streng geometrischen schwarz-weißen Raum, den Marc Brodeur konzipiert und subtil ausgeleuchtet hat. Die Choreographin Rafaële Giovanola hat dem fulminanten Quartett einen erfrischend witzigen Abend mit originellen tänzerischen Idiomen auf den Leib geschrieben, dem die konzeptionelle Nachdenklichkeit des Dramaturgen Rainald Endraß die notwendige intellektuelle Schärfe verleiht. Es geht um widerständige Ich-Entwürfe, die Freiheit des So-Seins und die Aufhebung des Anders-Seins in den engen Grenzen einer kleinen Gemeinschaft, in der jeder die Besonderheiten aller anderen braucht und zerstört. (…) "Fool for You" zeigt die Gegenwartsnarren auf der monadischen Suche nach sich selbst. " (Elisabeth Einecke-Klövekorn, General-Anzeiger, Bonn, 31.05.2005)

 

"Gottlob findet Rafaële Giovanola aber auch schöne kluge Tanzbilder für die intellektuellen Ausflüge ihres Dramaturgen. Da spielt jemand den Hund für den Partner, zwei andere tanzen Ross und Reiter: Aber nicht lange, und man fragt sich, wer ist da wessen Hund. Und: Wer reitet wen? Daneben fand man in Marc Brodeurs Licht- und Rauminstallation richtig komplizierte Paar-Bindungen und -Abstoßungen getanzt. Oder Bilder für Misstrauen und Anziehung. Das funktionierte mit allen ziemlich gut und verdiente sich allen Beifall." (Heinz-Dieter Terschüren, Bonner Rundschau, 31.05.2005)

 

"Die Welt ist voller Idioten, voller "privater, eigentümlicher" Menschen. In diesem Sinne will Rafaële Giovanola vom Bonner Tanzensemble "CocoonDance" ihre Choreographie "Fool for You" (Konzept und Dramaturgie: Rainald Endraß) verstanden wissen. Drei Tage nach der Bonner Premiere gastierte die Truppe mit dem Tanzstück auf der Heeder-Bühne und bot eine gute Stunde voller wirklich eigenartiger Unterhaltung.(…) Nichts schien mehr im Lot zu sein, die Welt zersplitterte in Teile, die scheinbar sinnlos wieder aneinandergereiht wurden. Die Kommunikation erstarrte zu Floskeln, deren Wiederholung in neuen Varianten und Zusammenhängen letztlich keinen Mehrwert an Verständigung erbrachte. Das blieb dabei aber immer witzig und ironisch gebrochen und verleugnete nie die professionelle Absicht. Dafür gab es am Ende vom Publikum begeisterten Beifal" (Hans Dieter Peschken, Rheinische Post, Krefeld, 03.06.2005)