SHIFTING GEOGRAPHY

ZUM STÜCK

 

// Premiere: 18. Februar 2014, The Cultch, Vancouver (CND) -  Deutschland-Premiere: 13. März 2014 Theater im Ballsaal, Bonn

 // Eine Koproduktion von CocoonDance und Co.ERASGA in Kooperation mit dem Theater im Ballsaal Bonn und The Cultch Vancouver

 // Gefördert durch: Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, Kunststiftung NRW, Bundesstadt Bonn und The city of Vancouver, British Columbia Arts Council, Canada Council for the Arts, Vancouver Foundation, Vancouver East Cultural Centre.

 

Alles und jeder erscheint im 21. Jahrhundert in Bewegung. Ein globaler Fluss von Waren, Lebensmitteln, Geld, Informationen – und Menschen. Während dies die Effekte der Enträumlichung, der Entkörperlichung, der Zeit- und Ortlosigkeit noch beschleunigen, versucht SHIFTING GEOGRAPHY dagegen den Körper als Strategie für eine andere Aneignung und Bestimmung des Raumes ins Spiel zu bringen. So beschreibt die neuere sozial- und kulturwissenschaftliche Raumtheorie Raum nicht mehr als eine geographisch fixierte oder materiell festgelegte Größe, als einen ‚Ort‘, an dem sich etwas ereignet, sondern als einen Herstellungsprozess, der in der Bewegungspraxis als sozialer und symbolischer, als ein raumzeitliches Geschehen, als eine Ortsveränderung zu begreifen ist. Die Bewegtheit, verstanden als die – lebensgeschichtlich geprägte – subjektive Wahrnehmung und innere Haltung prägen gleichermaßen das raum-zeitliche Ereignis.

Ihre eigenen Biografien und prädestinieren die beiden Choreografen für ein Projekt, welches den Körper als Symbol für Verortung, Orientierung und die daraus sich entwickelnden Zwischenräume und Bewegungen in den Mittelpunkt stellt.

SHIFTING GEOGRAPHY, das nach vier Arbeitsphasen und seiner Uraufführung in Vancouver, nun seine Deutschland-Premiere feiert, ist aber auch als „Shifting Choreography“ zu lesen. Denn mehr als um einen bloßen Austausch der Tanzszenen British Columbias und Nordrhein-Westfalens geht es auch um ein Verschieben und Bewegen von Arbeitsweisen und Konzepten zwischen zwei Partnern verschiedener kultureller Kontexte.

Von und mit: Fa-Hsuan Chen, Alison Denham, Volkhard Samuel Guist, Martin Inthamoussú, Billy Marchenski, Victoria Perez //

Choreographie: Rafaële Giovanola, Alvin Erasga Tolentino // Dramaturgie, Konzept: Rainald Endraß // Musik: Pablo Palacio // Lichtgestaltung: Jonathan Tsang

„Welch ein schöner Titel für ein Tanzstück: Shifting Geography. Da verschiebt sich was. Und es sind gleich mehrere Geographien, die sich bewegen, übereinander, zwischen einander. Wenn das nur ginge: Geographie im Plural. Sind es also mehrere Ansichten mehrerer Welten oder Landschaften? In der Choreographie ist das tatsächlich zu sehen: die Beweglichkeit eines Raumes, von Räumen und den mal vereinzelten, mal klumpenden oder schwärmenden Körperfigurationen in ihnen.

Shifting choreographies: Das Stück ist ein Gemeinschaftswerk von Rafaele Giovanola und Alvin Erasga Tolentino, bringt entsprechend Tänzer von CocoonDance aus Bonn und von der Company Erasga aus Vancouver zusammen, insgesamt sechs, barfuß, in Jeans und T-Shirt, und verzichtet auf jede Extra-Bühnenausstattung. Nur das Licht verschiebt anfangs die Räume. Mal sitzt das Publikum im Dunkeln, wie gewohnt, und schaut auf die leere, graue Bühne, kühl beleuchtet. Dann wird sie verschluckt von Dunkelheit, und die Zuschauer werden angestrahlt. Hin und her. So erscheint das Theater im Ballsaal deutlich als zweigeteilter Raum, dessen innere Grenze zwischen Zuschauer und Bühne aber verschiebbar wird. Konsequenterweise übertreten auch die Tänzer manchmal diese Linie. Aber, keine Sorge, das Publikum darf sitzen bleiben und muss nicht auch noch selber shiften. Nur sehr wach sein: Um die Muster in den Tänzen sozusagen als Geographien zu erkennen, also Flaches und Erhobenes,  Beharrendes und Fließendes, Schroffes und locker Gestreutes. …. Im Grunde geht es in „Shifting Geography“ um Aufbauen und Verschwindenlassen. Es schichtet auf und an und lässt Formen erodieren. Wiederholungen sind auch Aufbauten, sie falten Zeitabläufe aufeinander. Variationen fächern sie auf. Man kann in dem Stück viel entdecken, wie auf einer Landkarte, die man allerdings selbst beschriften muss. Darf. Nix für Anfänger, aber für genaue Hingucker eine lohnende Expedition. …

Etwas Unwirkliches haben aber auch die Figuren auf der Bühne, die sich vom gefühligen, dramatischen Menschsein weitgehend befreit haben. In einer Ecke summen sie in kleinen Bögen umeinander herum, treiben auseinander, wehen zurück zur Nische; an einer mittleren Stelle hocken sie mal mit witternd erhobenen Köpfen, die gespreizten Finger auf den Boden gestellt. Das Bild zerfliegt und baut sich später plötzlich wieder zusammen. Manchmal verfolgt jemand einen anderen, läuft hinterher, schiebt sich rückwärts an ihn heran oder kopiert die nach vorn gestreckten Arme. So entstehen Doppelwesen, die dem Anpasser für kurze Momente Halt gibt, ihn von der Mühe der vereinzelten Existenz befreit. Doch unerbittlich shiftet alles, was Nähe findet, auch wieder auseinander. Nichts bleibt, wie es ist; die Wiederholungen sind wie Erinnerungsgeröll: instabil.

Diese sechs Figuren haben keine Geschichten, nur Geschehnisse. Der Humor, der in diesen An- und Umordnungen auch liegt, kommt nicht recht durch. Aber es wird auch keine Tragik behauptet. Etwas Unheimliches, Diffuses bleibt.“ (Melanie  Suchy, TANZwebkoeln, 14.03.2014)


„Kontinente in Bewegung gebracht [Titel] - Wie misst man einen Raum? Längs, quer, in der Diagonale? Wie füllt man ihn aus, wenn das einzig Veränderliche dort der eigene Körper ist - um kulturelle und geografische Einflüsse in Bewegung zu setzen? Dieser Herausforderung haben sich die Choreografen Rafaële Giovanola (CocoonDance, Bonn) und Alvin Erasga Tolentino (Co.ERASGA, Vancouver) gestellt und gemeinsam mit den Tänzern Fa-Hsuan Chen, Alison Denham, Volkhard Samuel Guist, Martin Inthamoussú, Billy Marchenski und Victoria Perez eine Antwort darauf gefunden. Eine, die zu dem abstrakt-fordernden Score von Pablo Palacio und dem von Jonathan Tsang ebenso offensiv gesteuerten Licht mitunter an die Tierwelt weit entfernter oder vergessener Welten erinnert und jetzt unter dem Titel "Shifting Geography" Premiere beim ",Into The Fields' - Festival für zeitgenössischen Tanz" im Theater im Ballsaal feierte. Stellenweise animalisch: So könnte es sein. So ergäbe es einen reizvollen Kontrast zum globalen Fluss von Waren, Geld und Informationen, der schon längst ohne uns auszukommen scheint ... Eindeutig ist dagegen die beeindruckende Vielfalt menschlicher Bewegungen und die in jeder Sekunde beinahe spürbare Körperspannung, der man das intensive Training nach vier Arbeitsphasen und einer Aufführung wohl ansehen kann. Auf diese Weise spiegelt sich im Thema des Stückes letztlich auch sein Entstehungsprozess - der Austausch zwischen Kultur und Arbeitsweisen in Deutschland und British Columbia. Um Unterschiede und Gemeinsamkeiten so in Balance zu bringen, wie es diese drei jungen Frauen und Männer vormachen. Und jedes Mal wieder etwas anderes darin zu finden.“ (Ulrike Strauch, General-Anzeiger, Bonn, 17.03.2014)


„Was die beiden Choreographen Rafaële Giovanola von „CocoonDance “ und Alvin Erasga Tolentino von dem Ensemble Co.ERASGA im kanadischen Vancouver, wo auch kürzlich die Welturaufführung stattfand – mit ihren sechs Tänzern zeigen, sind Körper im Raum. Aber auch umgekehrt, der Raum, wie er sich in den Bewegungen der Körper abbildet. Ganz tief verstanden – sind sie identisch. Aber soweit treiben es die Choreographen und ihre prächtigen Akteure zur guten Musik von Pablo Palacio in der sparsamen Lichtinszenierung von Jonathan Tsang dann doch nicht. Auch die Lichtregie ist jedoch stark. Und das auch in ihrem theoretischen Überhang. Man vermutet den Lichtzusammenhang von Licht und Materie in den Lichtlöchern, die bleiben, wenn sich die Tänzerinnen und Tänzer von der Stelle, aus ihnen wegbewegen: es sind Fa-Hsuan Chen, Fa-Hsuan Chen, Alison Denham, Volkhard Samuel Guist, Martin Inthamoussú, Billy Marchenski, Victoria Perez. Einige von ihnen gehören zum festen Stamm von „CocoonDance “. Natürlich tanzen sie alle auch ihre Befindlichkeit mit, und jeder seine Orientierung im Raum für sich. Sie sind gewissermaßen Metaphern für den Raum, wie der Raum ihr Abdruck.“ (Heinz-Dieter Terschüren, Bonner Rundschau, 17.03.2014)